Highly potent — Wegweiser für Studenten

Wir haben ständig Praktikanten in der Abteilung. Meistens stehen sie kurz vor ihrem Abschluss und der ersten Jobsuche. In Gesprächen über ihre Abschlussarbeit und was danach sein soll, erzähle ich immer wieder von meinen eigenen Erfahrungen. Und obwohl meine eigene Studienzeit nicht so lange zurückliegt wie deine, Sven, kann ich deinen Beobachtungen nur zustimmen. Selbst zu meiner Zeit ging es vor allem darum, die Regelstudienzeit ja nicht zu überschreiten.

Nie vergessen werde ich Wolfgangs Worte, eines Kollegen bei meinem ersten Werkstudentenjob bei der Software AG (in der guten alten Zeit, als es in DA noch R&D gab). Es waren sehr wahre Worte: „Genieße Dein Studium. So viel Zeit zum Leben und Lernen hast Du nie wieder.” Mit Lernen meinte er allerdings nicht tumbes Prüfungsbüffeln, viel mehr etwas über das Leben zu lernen.

Neulich habe ich mit einem alten Bekannten darüber gesprochen. Wir waren uns schnell einig: Das Beste am Studium waren lange, laue Sommernächte, in der einen Hand ein Glas mit billigem, leckerem Rotwein, in der anderen eine Maispapier-Gitane. Vorzugsweise auf einem Balkon, einer Wiese oder sonst wo draußen. Die Seele baumeln lassen, belanglose und tiefgründige Themen. Neudeutsch heißt das wohl „quality time”.

Zugegeben, ich habe wirklich nicht auf die Tube gedrückt, sondern mir zwölf Semester Zeit gelassen, nebenher immer in relevanten Unternehmen oder Projekten gearbeitet und auch zugunsten des Jobs mal eine Vorlesung ausfallen lassen. Geschadet hat es mir nicht, im Gegenteil. Dass ich mich nicht auf Stellen bewerben konnte, bei denen 24-jährige mit Praxiserfahrung und Auslandssemester gesucht wurden, störte mich nicht. In einem Unternehmen, das solche Stellen ausschreibt, möchte ich sowieso nicht arbeiten.

In other news, der neulich bei SpON erschienene Artikel ergeht sich ja recht genüsslich in der Qual des Studierens etc. pp. Zwei Fragen stellen sich mir bei der ganzen „Bachelor ist scheiße”-Debatte. Zum einen, wie viele der heutigen AStA-Leute ihr Studium noch zu Diplomzeiten begannen, zum anderen, was so schlimm daran sein soll, als Student nebenher zu arbeiten.

„Aber jedes Semester kostet Unsummen! Und mit welchem Studi-Job kann man so viel verdienen UND Party machen UND die Miete bezahlen UND nebenher auch noch LERNEN?!”

Ganz ehrlich … WTF? Als Student hat man i. d. R. mehr vom Brutto. Mit 20 Stunden pro Woche und einem ordentlichen Stundenlohn kam ich auf um die 1600 EUR pro Monat — ohne zusätzliche Stunden „am Wochenende”. Nein, an der Supermarktkasse oder hinter der Theke bekommt man keine 20+ EUR die Stunde. Wenn man mehr möchte, schreibt man eben eigene Rechnungen. Natürlich geht das nur, wenn man im Gegenzug etwas leistet.

Diese Leistungsbereitschaft muss sich aber auch auf das Studium erstrecken. Ich spreche nicht von sinnfreien Auswendiglernereien, sondern von Eigeninitiative. Studium bedeutet nicht, dass man alles mundgerecht serviert bekommt. Im Gegenteil. Wer effektiv studieren will, muss selbst aktiv werden. Und, ich kann es nicht oft genug betonen, praxisnahe Praktika und Werkstudentenjobs annehmen. Nur so erkennt man Zusammenhänge und kann frühzeitig feststellen, wo die eigenen Talente liegen — und auch, wo nicht!

Wir leben in einer spezialisierten Welt. Jedenfalls habe ich keinen blassen Schimmer, wie man so was baut, geschweige denn, welche Spezialkenntnisse notwendig sind. Die meisten kenne ich wahrscheinlich nicht mal. Mag sein, dass ein BauIng-Studi sie alle kennt. Das ist aber kein Grund, sich auf die vorgegebenen Themen des Curriculums festnageln zu lassen. Im Gegenteil. Wer das tut, landet in der Scheuklappenfalle und wird ein ernstes Problem haben, seine Umgebung vollständig wahrzunehmen. Was wiederum zu kaputten Schaukeln führt. Niemand arbeitet in einem Vakuum (jaja, Astronauten, haha). Je breiter die eigene (Vor-) Bildung, desto besser.

Dabei helfen sechs schnellstmöglich absolvierte Semester rein gar nichts. Und auch ein in Rekordzeit drangehängter Master macht einen noch lange nicht zum Meister.

In Svens Worten:

Eine exemplarische Anna-Lena (grandioser Name) steht für Studenten, die ein Turbo-Studium durchziehen, aber im wirklichen Leben vermutlich in der Fußgängerzone verhungern würden (es sei denn, sie sehen jemanden aus ihrem Netzwerk, der ihnen hilft).

Das Problem sind nicht die Studis, die ihr Studium mit sturem Blick geradeaus durchhecheln. Freiwillig tut sich das keiner an. Der Dank geht vielmehr an diejenigen Unternehmen, die in ihren Stellenanzeigen die Wörtchen „idealerweise” und „vorteilhaft” weglassen. (Je mehr HR für die Stellenanzeigen verantwortlich ist, desto schlimmer wirds — meistens.)

Damit üben sie einen unnötigen und unvorteilhaften Druck aus. Unnötig, weil die Anforderungen aus der Stellenausschreibung zwar idealerweise vorhanden sein sollten, aber keineswegs wirklich Pflicht sind. Unvorteilhaft, weil man viele sehr gut geeignete Kandidaten ohne Not ausschließt. Am Ende lädt man diejenigen mit den überzeugendsten Notlügen ein. Ich weiß nicht so recht, was ich von solchen Stellenausschreibungen halten soll. Hat da jemand ein Employer-Branding-Seminar besucht und gründlich missverstanden? Gibts die Ausschreibung nur, um internen Zwängen zu genügen? Oder sucht man tatsächlich die eierlegende Wollmilchsau zu zwo fuffzich die Stunde? Oder, und das wäre fast schon pervers, ist das ein erster Test nach dem Motto „Wir wollen nur Leute, die den Job wirklich wollen und alles dafür tun würden”? Either way, thanks, but no thanks.

Im Grunde geht es um die Erwartungshaltung einem Unternehmen gegenüber, das Stellen zu besetzen hat. Genauso wie das Unternehmen ordentliche Bewerbungen erwartet, darf man als Bewerber eine ordentliche Ausschreibung und ein ordnentliches Bewerbungsverfahren erwarten. Es ist, wie immer, ein beiderseitiges Geben und Nehmen.

Als kleiner Wegweiser für Arbeitssuchende hier eine Checkliste für Ausschreibungen.

  1. Ist die Ausschreibung klar in vier Teile gegliedert?
    • Wer ist der zukünftige Arbeitgeber?
    • Welche Aufgaben hätte man zu übernehmen?
    • Welche Anforderungen stellt das Unternehmen an Bewerber?
    • Wie kann man sich bewerben? Welche Unterlagen und Informationen sind gefordert?
  2. Wird das Veröffentlichungsdatum und die Dauer der Ausschreibung genannt?
  3. Wenn die Unternehmenssprache nicht Deutsch ist, braucht man dafür einen sehr guten Grund.

Ich möchte nicht behaupten, dass jeder der Punkte ein Killer ist. Man muss seine Prioritäten selbst setzen. Wenn man aber mehrere interessante Ausschreibungen vor sich hat, dient die Liste als Sieb.

Was nach dem Sieben übrig bleibt, ist noch nicht die Crème de la Crème — auf die quantitative Bewertung folgt die qualitative.

  1. Aus der Selbstbeschreibung muss deutlich werden, was das Unternehmen tut.
  2. Es muss auf Anhieb verständlich sein, welche Aufgaben auf einen zu kämen.
  3. Es muss klar werden, warum die Stelle ausgeschrieben wurde.
  4. Die Anforderungen müssen verständlich formuliert sein.
  5. Kontaktdaten müssen vollständig (Web-Adresse, E-Mail-Adresse, Name, Telefonnummer, postalische Anschrift) angegeben sein.

Jetzt geht es an die Innereien. Wird man mit internen Abkürzungen oder Benennungen bombardiert? Machen die genannten Aufgaben in dieser Kombination bzw. Priorisierung Sinn? Passen die Anforderungen zu den Aufgaben? Passen beide zur Stellenbezeichnung?

Nicht schlecht war in dieser Hinsicht ein Unternehmen aus dem Norden. Die Stellenausschreibung sah ein bisschen nach Nachwuchsführungskraft aus; fachliche Leitung eines festen Teams von zehn Leuten, Bericht an GF, usw. Ca. 50 Mitarbeiter, interessante Kundenliste. Man würde den Bewerber gerne einladen, teilte man mit, allerdings drifteten die Gehaltsvorstellungen arg auseinander. Naja, man suche eher einen Absolventen, mehr als 36k seien nicht geplant. Ich würde gerne mal das arme Schwein kennenlernen, das dort gelandet ist.

Die fünf qualitativen Fragen kann man teils aus dem Stegreif beantworten, teils muss man sich über das Unternehmen schlaumachen. Fehlt die Web-Adresse, gibts Punktabzug, weil man googlen muss. Die Frage nach der Kombination und Priorisierung der Aufgaben kann man oft nur mit ein wenig Berufserfahrung beantworten. Im Zweifel fragt man jemanden, der sich damit auskennt.

Unvollständige Kontaktdaten sind ein absolutes K.O.-Kriterium. Es ist mir egal, ob das Unternehmen eine Jobbörse benutzt. Ich will nicht gezwungen werden, irgendwo einen Account anzulegen oder meine Unterlagen einem Dritten zur Verfügung zu stellen (einzige Ausnahme sind Headhunter, aber das ist ein anderes Thema). Daher erwarte ich, meine Bewerbung direkt an das Unternehmen, direkt an eine Person richten zu können.

Ist die Bewerbung raus, darf man eine zeitnahe Rückmeldung erwarten. Gerne darf da erst eine automatische Antwort kommen (vor allem bei Bewerbungen per E-Mail), aber spätestens nach fünf Werktagen ist eine persönliche Rückmeldung angebracht. Den Vogel abgeschossen hat in dieser Hinsicht die debis AG (R.I.P.). Sechs Monate nach der Bewerbung kam einen Anruf, ob der Bewerber noch an der Stelle interessiert sei. Ratet mal, was er geantwortet hat.

Sehr seltsam ist es auch, wenn man — ganz egal im welchem Stadium des Bewerbungsverfahrens — erfahren möchte, wie es denn aussieht, und niemand antwortet. Es bricht weder dem Unternehmen noch dem Bewerber ein Zacken aus der Krone, freundlich und direkt abzusagen, sollte das der Grund des Schweigens sein. Hinhaltetaktiken sind ein eher schlechtes Zeichen — schlecht für das Unternehmen meine ich. Den Rekord hält ein Unternehmen aus Frankfurt am Main, das es geschafft hat, sich nach dem zweiten Gespräch mit dem GF nicht mehr zu melden. Weder von sich aus noch auf nachfragende Anrufe und E-Mails. Nach sechs Wochen hat der Bewerber das Trauerspiel beendet. Dank eines Insiders weiß ich, was Sache war, aber das hat die Schweigsamkeit auch nicht erklärt.

Bottom line: Studis, lasst euch nicht mit Videothekenjobs abspeisen. Macht relevante Jobs, gerne mehr als einen. Schaut euch euer Berufsfeld an und versucht, in so viele Winkel wie möglich zu schauen. Arbeitet in großen und kleinen Unternehmen. Wenn es an eurem Studienort nicht die Möglichkeit gibt, geht woanders hin (es sei denn, ihr wollt sowieso an der Uni bleiben). Sucht vor allem Werkstudentenjobs (better pay!). Wenn der Bachelor acht Semester braucht, geht das in Ordnung! Gezüchtete Fachidioten gibt es genug.

Und wenn es dann um die ersten Vollzeitstelle geht, darf man ruhig Ansprüche stellen. Man muss Ansprüche stellen. Wer sich unter Wert verkauft, wird es bereuen — und wer sich für einen Überflieger hält, auch.

Bild: harry_nl, CC-BY.

3 comments

  1. Hi,
    ich muss deinem Schlußwort ohne Umschweife zustimmen.
    Leider stimme ich deiner Meinung zum Bachelor jedoch nicht zu. Es ist so, dass hier mehr und mehr das Studium der Form des “Schulunterrichts” angepasst wird und Freiheiten bzw. Wahlmöglichkeiten konsequent abgeschafft werden.
    In meinem eigenem Studiengang kämpfen wir (d.h. die Fachschaft bzw. StugA) aktuell gegen eine starke Änderung, bei der vier neue “Vertiefungen” geschaffen werden sollen… mit dem Ergebnis, dass es für viele der Studenten sehr schwierig werden wird, abseits dieser Vertiefungen Kurse zu belegen - ganz zu schweigen davon, dass wohl kaum ein Student nach 1-2 Semestern schon sagen kann, in welche Vertiefung er gehen möchte.
    Die Länge eines Diplom-Studiums verbunden mit der “Narrenfreiheit” des Vordiploms bot hier einerseits weitaus mehr Spielraum für “über den Tellerrand schauen” wie andererseits auch mehr Freiheiten für Praktika, Auslandserfahrungen und ähnliches.
    Ich denke nicht, dass es ein guter Weg ist durch die Umstellung auf kürzere Studiendauern zu versuchen, mehr Studenten zu gewinnen. Vielmehr sollte die Qualität des Studiums selbst deutlich verbessert werden. So lange es jedoch noch ständig an Mitteln fehlt, sehe ich hier wenig Chancen.

    Vergleiche ich etwa die Ausstattung oder das Kursangebot meiner Universität mit der meines Auslandssemesters, so habe ich das Gefühl von einer Industrienation in ein Schwellenland zu kommen… nur das letzteres die “Heimat” ist.
    Es kann meiner Meinung nach nicht sein, dass jedes Jahr Millarden an Rüstungsgeldern verschwendet werden, während an deutschen Unis ganze Studiengänge wegen Geldmangels eingestampft werden müssen. Gleichzeitig fehlt es auch an Professuren, an Ausstattung und häufig auch an Platz.
    Der Bachelor-Abschluß bietet für keine der genannten Probleme eine Lösung… außer vielleicht, dass die Studenten nach den 6-7 Semestern “endlich weg” können.

    Und so werde auch ich mich in 1,5 Semestern aus Deutschland verabschieden und meinen Master lieber an einem Institut machen, an dem “Studium” auch noch dies heißt… zu studieren.

  2. Deine Meinung deckt sich mit der anderer, die das Bachelor-/Master-System besser kennen, als ich.

    Allerdings glaube ich weiterhin, dass man sich dieses System nicht aufzwingen lassen darf. Im Zweifel lieber zwei Semester dranhängen. Ja, ich hab’ gut’ Reden, für mich ist der Drops ja gelutscht ;)

    Ich habe einiges zur Bildungspolitik in Deutschland zu sagen, aber das ist etwas für einen anderen Tag.

  3. Pingback: Sascha

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert