Digitale Transformation

Unsere Welt ist komplex und wird es mit jeder neuen Verknüpfung mehr. Verbindungen sind unterschiedlich stark und was auf den ersten Blick identisch scheint, sind tatsächlich verschiedene Dinge. Digital ist das einfacher; etwas ist, oder es ist nicht. Diese Diskrepanz begleitet Softwareentwicklung seit ihrem Beginn: Software ist ein digitales Abbild der analogen Welt*.

Softwareentwicklung ist die Übersetzung analogen Denkens in eine digitale Denkweise, eine Übersetzung zwischen zwei Weltsichten und Denksystem. Und wie jede Übersetzung ist auch diese verlustbehaftet.

Die Grundlage digitaler Transformation ist die Erkenntnis zum einen, dass nicht jeder analoge Prozess digital abbildbar ist, und zum anderen, dass es Prozesse gibt, die sich nur digital ausdrücken lassen - was gleichbedeutend ist mit “die analog nicht gedacht werden können und daher bislang nicht gedacht wurden”.

Dementsprechend kann man Unternehmen und ihre Digitalisierungsvorhaben in drei Kategorien einteilen.

  1. Wir verstehen das nicht (gerne getarnt als “wir brauchen/wollen das nicht”).
  2. Unsere Arbeitsabläufe sind digitalisiert.
  3. Wir haben unser Geschäft neu gedacht.

Erfolgreiche digitale Transformation hat kaum etwas damit zu tun, ein ERP einzuführen oder Daten in die Cloud zu schieben. Es geht nicht um Technologie, nicht um Tools oder Dienste. Das sind die Feigenblätter, die Unternehmen der Kategorie zwei an Projekte heften.

Transformation bedeutet Wandlung. Im Fall digitaler Transformation besteht die Aufgabe darin, seine Umwelt unter digitalen Vorzeichen neu wahrzunehmen. Dazu gehört im Kern der bewusste Umgang mit Komplexität und Flexibilität.

Je flexibler ein System ist, desto komplexer ist es. Nehmen wir zum Beispiel den Einsatz eines digitalen Whiteboards. Während man mit Moderationskärtchen und einer Pinnwand jederzeit neue Regeln und Bedeutungen für Farben, Gruppierung und Beschriftungen denken kann, muss man mit den gegebenen Funktionen des digitalen Whiteboards vorliebnehmen, ohne Möglichkeit, sie ad hoc zu verändern. Ein sehr flexibles digitales Whiteboard erlaubt vielleicht viele Einsatzmöglichkeiten, doch sind diese zwangsläufig daran geknüpft, ausgewählt und konfiguriert zu werden. Dennoch kann das System zu nichts benutzt werden, was der Hersteller nicht bereits “gedacht” hat**.

In meinem englischsprachigen Text “Adding Complexity” geht es unter anderem darum.

Complexity in software has two roots. One is the inherent complexity of our surroundings. It is amplified by the need of software to work on the assumption that something is either true or false, where in the physical world this black or white decision is not always possible. The other is bit esoteric: the acquired complexity we think we need in order to model the undecided physical world in binary.

Abgesehen vom Verständnis für das Spannungsfeld Analog-Digital und der Forderung nach originär digitalen Lösungen sowie ausreichender Erfahrung im Umgang mit Komplexität und Flexibilität, benötigt man eine präzise Landkarte der Umwelt, die all ihre Aspekte abdeckt. Die Karte muss nicht detailliert sein, aber sie muss die Handelnden in die Lage versetzen, die Umgebung zu begreifen und einschätzen zu können. Hat man eine gute Karte und jemanden, der mit ihr umgehen und sie detaillieren kann, kommt man schnell und sicher ans Ziel, ohne lange Umwege oder Sackgassen.

Tatsächlich steht am Ende des Weges nicht zwangsläufig ein Stück Software. Der Wandel ist oft grundlegender und umfassender - eben nicht die Digitalisierung eines Prozesses, sondern neue, vorher undenkbare Prozesse und eine neue Sicht auf die Welt. Das schließt jeden Aspekt unseres Lebens ein; Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen, Mediennutzung, Politik, Teilhabe usw. Genau das ist es, was die Vorreiter der digitalen Transformation getan haben. Google, Amazon, eBay, Paypal, Skype oder Facebook veränderten die Welt.

Zusammengefasst:

  • Digitale Denkweise ist grundlegend anders.
  • Sie zwingt a priori zu definitiven Entscheidungen;
  • benötigt Problembewusstsein für Komplexität und Flexibilität und
  • erfordert einen neuen Blick auf die Umwelt und die Fähigkeit, sich in ihr zielgerichtet zu bewegen;
  • betrifft jeden Lebensbereich.

*) Bis zur Singularität. Danach gilt wahrscheinlich: Software ist die Welt. Siehe Technologische Singularität in der Wikipedia bzw. den Absatz über Singularität in der Systemtheorie und ihre Verbindung zur Komplexität.

**) Künstliche Intelligenz wird so bald nicht in der Lage sein, Reaktionen außerhalb ihrer ursprünglichen Funktionsweise zu entwickeln.

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