Nachklapp zum #buchcamp: Medienkompetenz

Aus der Diskussion in Alex’ Session ist bei mir vor allem das Thema Medienkompetenz hängen geblieben. (Dass Schirrmacher nicht so gut wegkam, wurde schnell deutlich.)

Medienkompetenz ist nicht Bedienkompetenz. Was mich schon an der öffentlichen Debatte über den Computerführerschein und ähnliche Ausbildungsprogramme gestört hat, ist die Schwerpunktsetzung auf Bedienung. Natürlich ist sie die Basis für alles weitere, aber eben nur die Basis. Das Ziel muss ein gänzlich anderes sein. Unabhängig davon, ob ich mich unterhalte, Zeitung lesen, Radio höre, fernsehe oder im Netz unterwegs bin, muss ich in der Lage sein, die Informationen einzuordnen. Wer ist der Absender, was will er mir sagen, was sagt er mir nicht, wie und warum sagt er es.

Das ist Medienkompetenz.

Zugegeben, Kindern beizubringen, sich mit der Agenda des Absenders auseinanderzusetzen, ist schwer. Schwerer, als ihnen die Grundzüge von Windowsprogrammen beizubringen. Kein Wunder, das vor allem letztes getan wird.

Meine Sicht der Dinge ist folgende: Spätestens die Eltern der „digital natives”, was Alex nonchalant — und zurecht — zu „digital naives” umdichtet, standen der scheinbar absoluten Technikbeherrschung ihrer Sprößlinge mit offenem Mund gegenüber. Sie fühlten sich überrollt und verstanden nicht, was da geschieht. Dadurch konnten sie ihren Kindern auch kein Vorbild sein, sie konnten ihnen nichts beibringen. Für die Kinder war das ein paradiesischer Zustand. Sie hatten etwas gefunden, worin sie den Erwachsenen überlegen waren und natürlich kosteten sie das aus. Und damit begann unsere Misere.

Während die Eltern noch versuchten, zu begreifen, was um sie herum passiert, überließen sie durch ihre Tatenlosigkeit uns das Feld. Wir konnten schalten und walten, wie wir wollten. Einige wenige machten sich auf, das Feld für sich zu entdecken und zu verstehen. Die meisten nutzten einfach den Freiraum abseits der Erlebniswelt der Eltern und wurden zu Über-Konsumenten.

Die Entdecker übrigens, das waren die geeks und nerds, die Kellerkinder, die Stubenhocker. Ironischer Weise sind sie es, die heute bestimmen, wo es lang geht. Aus den Usenet-Usern und Mailboxern, die ihre Tage und Nächte damit verbrachten, die neue Welt zu kartografieren und zu erforschen, sind BarCamper und WebMontager geworden, hochvernetzte, sozial- und medienkompetente Menschen. (Randnotiz: Wie die Alt68er die Grünen hervorbrachten, sind es bei uns die Piraten.)

Die Über-Konsumenten aber sind es, die bestimmen, was wirtschaftlich erfolgreich ist. Noch nie waren Kinofilme so erfolgreich wie heute, noch nie haben wir mehr ferngesehen. (Randnotiz: Kein Wunder, dass wir ungestraft fernsehen sagen dürfen, Radio hören aber getrennt geschrieben wird.)
Und auch im Digitalen wird heute mehr umgesetzt denn je. Triple-A-Spiele haben Produktions- und Werbekosten wie vor garnicht allzu langer Zeit Blockbuster:

According to the Los Angeles Times, Call of Duty: Modern Warfare 2 cost $40 to $50 million to develop and another $200 million to promote. #

Es würde der Diskussion um Medienkompetenz und die sogenannten digital natives gut tun, sich die Fakten klar zu machen. Die Mehrheit komsumiert. Viel, ständig und überall. Dazu muss die Masse bedienen können. In diesem Wort steckt das Dilemma. Sie dienen, führen angelernte Handgriffe aus. Wer beim Militär Drill in seiner reinsten Form erlebt hat, weiß, was das bedeutet: Gedankenloses, weil erzwungenes Handeln.
Im Verlauf des letzten Jahrhunderts wurde aus dem Bediener zwar irgendwann der Benutzer. Leider ist es bei der bloßen Umbenennung geblieben.

Was wird werden, wenn die unkritischen Über-Konsumenten von heute, morgen und übermorgen selbst Eltern werden? Werden sie ihre Kinder zu streitbaren Geistern erziehen, ihnen das Wissen und die Werkzeuge vermittlen, hinter die Fassade blicken zu können? Wahrscheinlich nicht. Eher werden die Kindern von ihnen übernehmen, sich in der Masse treiben zu lassen.

Wir brauchen keine Computerführerscheine. Wir brauchen eine kritische Erziehung, die Freiräume läßt, erklärt und begleitet. Das setzt natürlich voraus, dass es Eltern gibt, die dieser Aufgabe gewachsen sind. Also muss der erste Schritt sein, den Eltern das kleine Einmaleins aufgeklärten Handelns beizubringen.

Das wir überhaupt so weit gekommen sind, daran trägt „das Internet” keine Schuld. Es ist nichts weiter als ein Spiegel der Gesellschaft. Mit einem Unterschied: Es erlaubt, als erstes Medium überhaupt, totale Mitgestaltung.

Vielleicht sollte es sie erzwingen.

Bild: makelessnoise, CC-BY

4 comments

  1. Ih weiss nicht, ob ich dir komplett zustimmen kann, dass die folgerung aus der niedrigen Medienkompetenz lediglich sein sollte, dass Eltern ihre Kinder zu mehr sensibilität erziehen sollten.

    Natürlich ist das geboten, aber glauben wir ernsthaft, dass Eltern die den neuen Gesellschaftlichen Raum “Internet” nicht verstehen, ihre Kinder zu mehr medienkompetenz in diesem raum anhalten können?
    das Internet fordert eine vielmals höhere Medienkompetenz als TV und Presse, denn wo wir dort eine halbwegs ausgewogene berichterstattung bekommen gibt es nun keine Nachrichtenredaktion die sich Gedanken um Themenvielfalt und Neutralität macht .

    Und im sozialen Prozess setzt sich augenscheinlich nicht die höchste Kompetenz durch, sondern scheinbar eher die populärste meinung.

    ich glaube, dass wir die gewichtigen Implikationen dieser Effekte noch lange nicht zuende gedacht haben, und das deine Interpretation deutlich zu kurz greift.

    Stefan

  2. Und ich dachte schon, ich sei radikal ;)

    Danke für Dein Feedback Stefan. Zu Ende gedacht haben wir es sicherlich nicht - dazu stecken wir aber auch zu tief drin bzw. beginnen gerade erst, zu begreifen.

    Was ich mir wünschen würde, wäre allerdings weniger ein gesellschaftlicher Geistesprozess, sondern mehr gesunden Menschenverstand. Wir müssen aufhören, Leistung und Bildung in Kennzahlen zu interpretieren.

    Ich bin kein Soziologe, daher fehlen mir wahrscheinlich schlicht die Fachvokabeln, meine Gedanken so zu formulieren, dass sie sich nicht wie gequirlte Scheiße lesen. Andererseits, wer braucht schon Fachvokabeln?

  3. Pingback: Sascha

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