Monthly Archives: Mai 2010

So sah es Ende des 19. Jahrhunderts in Groß-Gerau, genauer in der Darmstädter Straße, aus.

Bevölkerungsentwicklung im Kreis Groß-Gerau

Heute kam meine Freischaltung für die Regionaldatenbank Deutschland. Im Gegensatz zur großen GENESIS-Datenbank (50 EUR p. a.) ist die Regionaldatenbank kostenfrei nach Freischaltung nutzbar. Super, noch mehr Zahlen zum Stöbern und Jonglieren ;)

Um ausnahmsweise etwas Lokalkolorit anzubringen, hier eine graphische Auswertung der Beverölkerungsentwicklung im Kreis Groß-Gerau der Jahre 2003 und 2008.

Wie es aussieht, wird der Kreis älter und bekommt weniger Kinder. Außerdem leben wir im schönen Ried immer länger. Immerhin.

Waren wir 2003 noch 40,5 Jahre alt, sind wir nun durchschnittlich knapp über 42. Im gleichen Zeitraum verlieren wir über 1.800 Jugendliche bis 18 Jahren, deren Anzahl von 46.837 auf 45.028 sinkt. Die Rentenversicherung muss an 47.567 Rentner auszahlen, ein Plus von 6.605. Die potenzielle Arbeitnehmerschaft dagegen verkleinert sich um 2.703 von 169.090 auf 166.387 Erwerbsfähige.

Ich glaub, ich hör jetzt besser auf. Auf der einen Seite macht es mir wirklich Spaß, mit solchen Datenbanken zu arbeiten. Hin und wieder läuft es mir dabei aber kalt den Rücken runter …

Bild: Danke an Armin Kübelbeck
Daten: Statistische Ämter des Bundes und der Länder
Grafiken: itst höchstselbst

Me, myself and I

Mehr zum Thema demnächst” — na ich bin ja vielleicht ein Optimist. Nach sechs Jahren also … mehr zu sozialen Rollen.

Zu einer Rolle gehören Kompetenzen, Aufgaben und Verantwortungen. Rollen werden von Menschen ausgefüllt, so sagt man fast schon menschenfeindlich. “Sie füllen Ihre Rolle nicht aus” bedeutet, man wird den Erwartungen anderer nicht gerecht. Gerne zieht man sich auf den sicheren Boden der festgelegten Spielregeln zurück: “Das ist nicht meine Verantwortung”.

Menschen sind soziale Lebewesen, die sich in Gruppen am wohlsten fühlen. Zu Beginn unserer Evolution bildete eine einzige Gruppe unseren alleinigen Lebensmittelpunkt. Heute gehören wir heute vielen sozialen Gruppen an. Wir können sogar wählen, welchen Gruppen wir angehören möchten und welchen nicht. Manche wollen uns allerdings auch nicht haben.

Jede Gruppe hat eigene Verhaltensmuster, die sie ihren Mitgliedern aufzwingt. Das können auch weithin sichtbare Symbole sein. Entscheidend sind Verhaltensmuster und Symbole für die Abgrenzung der Gruppen untereinander. Siehe Hells’ Angels und Bandidos. Manche Symbole sind auch funktionaler Art, wie ein Arztkittel oder eine Bistroschürze. Die Wirkung von sichtbaren Symbolen ist nur gegeben, wenn sie sichtbar sind. Trägt die Ärztin am Wochenende einen Hausanzug, kann man ihr die Chirurgin wahrscheinlich nicht mehr ansehen.

Andere Symbole sind die Art und Weise des Umgangs miteinander. Der Mann, der auf dem Spielplatz das vom Gerüst gefallene Kind tröstet, ist wahrscheinlich sein Vater. Ein Pärchen hält einander bei den Händen oder küsst sich.

In jeder sozialen Gruppe existieren soziale Rollen und Regeln. Das können explizite Vereinbarungen sein, die sich an festgelegten Kompetenzen, Aufgaben und Verantwortungen entlang hangeln. Aber auch in anscheinend kaum regulierten Gruppen wie Freundeskreis oder Familie gelten Regeln und Grenzen, die nicht überschritten werden sollten und Rollen vorgeben. Im Beruf mag man dank seiner Rolle in der Lage sein, unliebsame Aufgaben an andere zu delegieren. Privat ist Samstag eben Putztag.

So viel zu den Rollen und was ich 2004 eigentlich noch sagen wollte :-) Jetzt zurück in die Gegenwart und zu Dirks Post über die Diskussion um die Aussagen des Chefs von Facebook, Mark Zuckerberg. David Kirkpatrick hat sie in einem Buch1 über das Unternehmen dokumentiert.

You have one identity… The days of you having a different image for your work friends or co-workers and for the other people you know are probably coming to an end pretty quickly … Having two identities for yourself is an example of a lack of integrity.

Es ist eine Sache, mit einem Kollegen über private Dinge zu sprechen. Allerdings ist er in diesem Moment eben kein Kollege, sondern ein Freund. Wir beide nehmen dann eine andere soziale Rolle ein (setzen „andere Hüte auf”, wie Dirk es formuliert). Mangelnde Integrität braucht man sich deswegen nicht vorzuwerfen.

Einen Versuch, soziale Rollen online erfahrbar zu machen, hat MOLI gewagt. Die Idee war, Profile für verschiedene Öffentlichkeiten zugänglich zu machen. Die Familie sieht die Babyfotos, Online-Kontakte die IM-Nicks und der Rest der Welt den neusten Blogeintrag. MOLI gibt es nicht mehr. Wenn mich mein Insider-Wissen nicht trügt, gab es ein Finanzierungsproblem. Das Konzept aber, das hat was …

Ich weiß nicht, ob Marks Prognose zutreffend ist und alle Öffentlichkeiten, alle sozialen Gruppen, in Zukunft verschwinden und durch die Öffentlichkeit ersetzt werden. Allerdings glaube ich nicht daran. Eine absolute Offenheit funktioniert nicht, schon allein, weil wir nicht jeden kennen.

Wenn Facebook es allerdings ernst meint, und zur identity infrastructure of the Internet2 wird, erhält jedes Individuum das Potenzial, jeden kennenzulernen. Das gilt für nicht für diejenigen, die nicht online sein können oder wollen. Es mag ja sein, dass Unternehmen tatsächlich dazu übergehen könnten, statt der social security number das Facebook-Profil zu akzeptieren. Das kann sich zumindest David vorstellen. Aber außerhalb der USA …

In den letzten Wochen geisterte immer wieder der Protest gegen Facebook durch die Röhren des Internet: “I deleted my FB account”. Für mich ist Facebook ein Werkzeug. Und ich traue den Menschen in meiner Umgebung zu, sich kritisch damit auseinanderzusetzen und es so zu benutzen, wie ich es tue: so viel wie nötig, so wenig wie möglich.

Wie immer sehr lesenswert: danah boyd und Jeff Jarvis.

1) Die Veröffentlichung dieses und anderer Zitate aus dem noch nicht erschienen Buch ist ein PR-Stunt, nichts weiter. Natürlich benutzt man dafür starke, kontroverse Aussagen. Und ob David alle Aussagen und Beobachtungen tatsächlich zu einem Abbild der Realität vermengt, wissen wir auch nicht.

2) Ich kenne Thomas Crompton nicht, aber sein Interviewstil ist mir zu explizit. Das Videointerview ist trotzdem sehenswert.

Bild: Vorgeschlagen von Dirk :-)

http://www.baekdal.com/about/rss/

Nachklapp zum #buchcamp: „E-Book” und „neue Medien”

Wir hätten es in Alex’ Session „Deer in the headlights” beinah geschafft, nicht über das Buch zu sprechen. In kurzen Sätzen wurden dann doch ein paar Gedanken geäußert. Was eigentlich ist so ein E-Book?

Hier meine zwei Cent, die als Erweiterung und Weiterdenkens der „10 Muss-Elemente von E-Books” zu verstehen sind.

E-Books, so hatte ich einmal formuliert, sollten 10 Elemente beinhalten, die über den Inhalt ihres gedruckten Vetters hinaus gehen.

Wenn man ein E-Book als bloße Zweitverwertung, ja, bloßen Abklatsch seiner gedruckten Variante betrachtet und das gut findet, kann man hier mit dem Lesen dieses Textchens aufhören. Das Druck-PDF runter zu skalieren und als E-Book zu verkaufen ist langweilig, dumm und an der Realität vorbei.

Ich zitiere mich mal selbst, damit alle, die auch nach der zweiten Erwähnung der 10 Elemente noch nicht auf den Link geklickt haben, verstehen, worum es geht.

Ein E-Book ist mehr als nur die elektronische Variante eines gedruckten Buchs. Das wesentliche Element eines Buchs ist sein Text, die Struktur des Texts und die eine oder andere graphische Darstellung. Doch ein E-Book kann viel mehr:

  • Bilder in Farbe, per Interaktion vergrößer- und zoombar.
  • Videos und Animationen, gerne auch mit Ton.
  • Formulare, zum Beispiel für Lernkontrollen oder Produktregistrierungen.
  • Weblinks.
  • Webinhalte.
  • Automatische Silbentrennung je nach Darstellungsgröße des Texts.
  • Anmerkungen anderer Leser des eBooks — und meine eigenen.
  • Zitatverwaltung mit Export bibliographischer Daten (z. B. bibtex).
  • Export einzelner Elemente mit passenden Lizenzmetadaten.
  • Export von Anmerkungen.

Man stelle sich vor, was allein in der Schule oder an der Uni mit einem so aufbereiteten E-Book möglich wäre.

Oder bei einem Roman. Wenn es schon Buchteaser gibt, warum dann nicht die Geschichte mit einem Video anreichern, oder spannende Seiten mit einem Audio hinterlegen? Selbst Lyrikbände würden sich für solche audiovisuellen Inhalte eignen.

Es gibt einige Ansätze, die in diese Richtung gehen. My Miki zum Beispiel, eine Plattform für elektronische Magazine, die so ziemlich jeden Inhalt und jede Interaktion des Webs enthalten können. Oder das StreamBook, dass man in der DMG-Lib in Aktion erleben darf.

Wir nennen diese Konzepte heute E-Book, weil wir noch keinen besseren Namen dafür gefunden haben. Der Name sollte aber nicht darüber täuschen, dass die einzige Gemeinsamkeit von Büchern und E-Books in der Inhaltsvermittlung liegt. Der Zweck bleibt der gleiche, die Mittel unterscheiden sich drastisch, analog zu E-Mail und Briefpost.

Und wenn wir dazu eine neue Art Autor, eine neue Gattung Lektor, neu orientierte Verlage und andere Vertriebswege brauchen, dann ist das eben so. Die Pferdekutschenbauer haben sich auch lange gegen Automobile gewehrt. Geholfen hat es ihnen nicht.

Auf dem BuchCamp habe ich mich mit einem Reisebuchautor unterhalten, der gerne so aufbereitete Reisebücher machen würde. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, haben seine Lektoren etwas dagegen. Epic fail.

Noch zwei Worte zum iPad, das beim BuchCamp gestreichelt werden durfte. Ob jetzt das iPad oder ähnliche Geräte, in fünf sechs Jahren wird in Privathaushalten kaum noch Towergehäuse geben und Pads werden alltäglich zu sehen sein. Mal ehrlich: Wem würde ein PDF auf so einem Gerät Spaß machen? Selbst wenn man die Schriftart ändern könnte?

Wenn ich schon mal in Fahrt bin, gleich noch was zur den „neuen Medien”. Neu?! Die letzten 15-20 Jahre einen auf Drei Affen gemacht? Was bitte ist denn heute neu am Vorhandensein von CD-ROM und WWW? Und wie nennt man eigentlich DVD und erst recht BluRay, wenn die CD-ROM weiterhin als neues Medium gilt? Und abgesehen davon, welche Blase soll denn da platzen? Es ist eher ein Knoten, der bald platzen wird, aber keine „neuen Medien”-Blase. Dass die Buchhandelsschüler vom Kulturgut Buch sprechen, rührt mich zwar an, geht aber an der Realität vorbei. Steffen Meier hat dazu schon alles Sagenswerte gesagt.

Bild: Twice25, CC-BY

Nachklapp zum #buchcamp: Medienkompetenz

Aus der Diskussion in Alex’ Session ist bei mir vor allem das Thema Medienkompetenz hängen geblieben. (Dass Schirrmacher nicht so gut wegkam, wurde schnell deutlich.)

Medienkompetenz ist nicht Bedienkompetenz. Was mich schon an der öffentlichen Debatte über den Computerführerschein und ähnliche Ausbildungsprogramme gestört hat, ist die Schwerpunktsetzung auf Bedienung. Natürlich ist sie die Basis für alles weitere, aber eben nur die Basis. Das Ziel muss ein gänzlich anderes sein. Unabhängig davon, ob ich mich unterhalte, Zeitung lesen, Radio höre, fernsehe oder im Netz unterwegs bin, muss ich in der Lage sein, die Informationen einzuordnen. Wer ist der Absender, was will er mir sagen, was sagt er mir nicht, wie und warum sagt er es.

Das ist Medienkompetenz.

Zugegeben, Kindern beizubringen, sich mit der Agenda des Absenders auseinanderzusetzen, ist schwer. Schwerer, als ihnen die Grundzüge von Windowsprogrammen beizubringen. Kein Wunder, das vor allem letztes getan wird.

Meine Sicht der Dinge ist folgende: Spätestens die Eltern der „digital natives”, was Alex nonchalant — und zurecht — zu „digital naives” umdichtet, standen der scheinbar absoluten Technikbeherrschung ihrer Sprößlinge mit offenem Mund gegenüber. Sie fühlten sich überrollt und verstanden nicht, was da geschieht. Dadurch konnten sie ihren Kindern auch kein Vorbild sein, sie konnten ihnen nichts beibringen. Für die Kinder war das ein paradiesischer Zustand. Sie hatten etwas gefunden, worin sie den Erwachsenen überlegen waren und natürlich kosteten sie das aus. Und damit begann unsere Misere.

Während die Eltern noch versuchten, zu begreifen, was um sie herum passiert, überließen sie durch ihre Tatenlosigkeit uns das Feld. Wir konnten schalten und walten, wie wir wollten. Einige wenige machten sich auf, das Feld für sich zu entdecken und zu verstehen. Die meisten nutzten einfach den Freiraum abseits der Erlebniswelt der Eltern und wurden zu Über-Konsumenten.

Die Entdecker übrigens, das waren die geeks und nerds, die Kellerkinder, die Stubenhocker. Ironischer Weise sind sie es, die heute bestimmen, wo es lang geht. Aus den Usenet-Usern und Mailboxern, die ihre Tage und Nächte damit verbrachten, die neue Welt zu kartografieren und zu erforschen, sind BarCamper und WebMontager geworden, hochvernetzte, sozial- und medienkompetente Menschen. (Randnotiz: Wie die Alt68er die Grünen hervorbrachten, sind es bei uns die Piraten.)

Die Über-Konsumenten aber sind es, die bestimmen, was wirtschaftlich erfolgreich ist. Noch nie waren Kinofilme so erfolgreich wie heute, noch nie haben wir mehr ferngesehen. (Randnotiz: Kein Wunder, dass wir ungestraft fernsehen sagen dürfen, Radio hören aber getrennt geschrieben wird.)
Und auch im Digitalen wird heute mehr umgesetzt denn je. Triple-A-Spiele haben Produktions- und Werbekosten wie vor garnicht allzu langer Zeit Blockbuster:

According to the Los Angeles Times, Call of Duty: Modern Warfare 2 cost $40 to $50 million to develop and another $200 million to promote. #

Es würde der Diskussion um Medienkompetenz und die sogenannten digital natives gut tun, sich die Fakten klar zu machen. Die Mehrheit komsumiert. Viel, ständig und überall. Dazu muss die Masse bedienen können. In diesem Wort steckt das Dilemma. Sie dienen, führen angelernte Handgriffe aus. Wer beim Militär Drill in seiner reinsten Form erlebt hat, weiß, was das bedeutet: Gedankenloses, weil erzwungenes Handeln.
Im Verlauf des letzten Jahrhunderts wurde aus dem Bediener zwar irgendwann der Benutzer. Leider ist es bei der bloßen Umbenennung geblieben.

Was wird werden, wenn die unkritischen Über-Konsumenten von heute, morgen und übermorgen selbst Eltern werden? Werden sie ihre Kinder zu streitbaren Geistern erziehen, ihnen das Wissen und die Werkzeuge vermittlen, hinter die Fassade blicken zu können? Wahrscheinlich nicht. Eher werden die Kindern von ihnen übernehmen, sich in der Masse treiben zu lassen.

Wir brauchen keine Computerführerscheine. Wir brauchen eine kritische Erziehung, die Freiräume läßt, erklärt und begleitet. Das setzt natürlich voraus, dass es Eltern gibt, die dieser Aufgabe gewachsen sind. Also muss der erste Schritt sein, den Eltern das kleine Einmaleins aufgeklärten Handelns beizubringen.

Das wir überhaupt so weit gekommen sind, daran trägt „das Internet” keine Schuld. Es ist nichts weiter als ein Spiegel der Gesellschaft. Mit einem Unterschied: Es erlaubt, als erstes Medium überhaupt, totale Mitgestaltung.

Vielleicht sollte es sie erzwingen.

Bild: makelessnoise, CC-BY

Büchertreffen

Morgen findet in Frankfurt/Main das BuchCamp 2010 statt. Organisiert wird es vom Forum Zukunft des Börsenvereins. Eine gute Gelegenheit, Namen und Nicknames mit Gesichtern zu verbinden. Die Sessionvorschläge sind spannend und einige der Themen werden — hoffentlich — zu kontroversen Diskussionen führen. Besonders freue ich mich auf Wolfgang Tischers Session zum Black Hat Community Management. Und siehe da, sogar Frank Schirrmacher schafft es im Geiste zum BuchCamp, jedenfalls will Alexander Vieß eine Diskussion zu Payback, naja, dem Advertorial zu Payback, auf egde.org anstoßen.

Kommenden Dienstag ab 19.00 Uhr treffen sich die Jungen Verlagsmenschen aus der Metropolregion Rhein-Neckar in der Alten Feuerwache in Mannheim. Ein guter Teil der Besucher wird aus der Dudenstraße 6 anreisen ;)

Highly potent — Wegweiser für Studenten

Wir haben ständig Praktikanten in der Abteilung. Meistens stehen sie kurz vor ihrem Abschluss und der ersten Jobsuche. In Gesprächen über ihre Abschlussarbeit und was danach sein soll, erzähle ich immer wieder von meinen eigenen Erfahrungen. Und obwohl meine eigene Studienzeit nicht so lange zurückliegt wie deine, Sven, kann ich deinen Beobachtungen nur zustimmen. Selbst zu meiner Zeit ging es vor allem darum, die Regelstudienzeit ja nicht zu überschreiten.

Nie vergessen werde ich Wolfgangs Worte, eines Kollegen bei meinem ersten Werkstudentenjob bei der Software AG (in der guten alten Zeit, als es in DA noch R&D gab). Es waren sehr wahre Worte: „Genieße Dein Studium. So viel Zeit zum Leben und Lernen hast Du nie wieder.” Mit Lernen meinte er allerdings nicht tumbes Prüfungsbüffeln, viel mehr etwas über das Leben zu lernen.

Neulich habe ich mit einem alten Bekannten darüber gesprochen. Wir waren uns schnell einig: Das Beste am Studium waren lange, laue Sommernächte, in der einen Hand ein Glas mit billigem, leckerem Rotwein, in der anderen eine Maispapier-Gitane. Vorzugsweise auf einem Balkon, einer Wiese oder sonst wo draußen. Die Seele baumeln lassen, belanglose und tiefgründige Themen. Neudeutsch heißt das wohl „quality time”.

Zugegeben, ich habe wirklich nicht auf die Tube gedrückt, sondern mir zwölf Semester Zeit gelassen, nebenher immer in relevanten Unternehmen oder Projekten gearbeitet und auch zugunsten des Jobs mal eine Vorlesung ausfallen lassen. Geschadet hat es mir nicht, im Gegenteil. Dass ich mich nicht auf Stellen bewerben konnte, bei denen 24-jährige mit Praxiserfahrung und Auslandssemester gesucht wurden, störte mich nicht. In einem Unternehmen, das solche Stellen ausschreibt, möchte ich sowieso nicht arbeiten.

In other news, der neulich bei SpON erschienene Artikel ergeht sich ja recht genüsslich in der Qual des Studierens etc. pp. Zwei Fragen stellen sich mir bei der ganzen „Bachelor ist scheiße”-Debatte. Zum einen, wie viele der heutigen AStA-Leute ihr Studium noch zu Diplomzeiten begannen, zum anderen, was so schlimm daran sein soll, als Student nebenher zu arbeiten.

„Aber jedes Semester kostet Unsummen! Und mit welchem Studi-Job kann man so viel verdienen UND Party machen UND die Miete bezahlen UND nebenher auch noch LERNEN?!”

Ganz ehrlich … WTF? Als Student hat man i. d. R. mehr vom Brutto. Mit 20 Stunden pro Woche und einem ordentlichen Stundenlohn kam ich auf um die 1600 EUR pro Monat — ohne zusätzliche Stunden „am Wochenende”. Nein, an der Supermarktkasse oder hinter der Theke bekommt man keine 20+ EUR die Stunde. Wenn man mehr möchte, schreibt man eben eigene Rechnungen. Natürlich geht das nur, wenn man im Gegenzug etwas leistet.

Diese Leistungsbereitschaft muss sich aber auch auf das Studium erstrecken. Ich spreche nicht von sinnfreien Auswendiglernereien, sondern von Eigeninitiative. Studium bedeutet nicht, dass man alles mundgerecht serviert bekommt. Im Gegenteil. Wer effektiv studieren will, muss selbst aktiv werden. Und, ich kann es nicht oft genug betonen, praxisnahe Praktika und Werkstudentenjobs annehmen. Nur so erkennt man Zusammenhänge und kann frühzeitig feststellen, wo die eigenen Talente liegen — und auch, wo nicht!

Wir leben in einer spezialisierten Welt. Jedenfalls habe ich keinen blassen Schimmer, wie man so was baut, geschweige denn, welche Spezialkenntnisse notwendig sind. Die meisten kenne ich wahrscheinlich nicht mal. Mag sein, dass ein BauIng-Studi sie alle kennt. Das ist aber kein Grund, sich auf die vorgegebenen Themen des Curriculums festnageln zu lassen. Im Gegenteil. Wer das tut, landet in der Scheuklappenfalle und wird ein ernstes Problem haben, seine Umgebung vollständig wahrzunehmen. Was wiederum zu kaputten Schaukeln führt. Niemand arbeitet in einem Vakuum (jaja, Astronauten, haha). Je breiter die eigene (Vor-) Bildung, desto besser.

Dabei helfen sechs schnellstmöglich absolvierte Semester rein gar nichts. Und auch ein in Rekordzeit drangehängter Master macht einen noch lange nicht zum Meister.

In Svens Worten:

Eine exemplarische Anna-Lena (grandioser Name) steht für Studenten, die ein Turbo-Studium durchziehen, aber im wirklichen Leben vermutlich in der Fußgängerzone verhungern würden (es sei denn, sie sehen jemanden aus ihrem Netzwerk, der ihnen hilft).

Das Problem sind nicht die Studis, die ihr Studium mit sturem Blick geradeaus durchhecheln. Freiwillig tut sich das keiner an. Der Dank geht vielmehr an diejenigen Unternehmen, die in ihren Stellenanzeigen die Wörtchen „idealerweise” und „vorteilhaft” weglassen. (Je mehr HR für die Stellenanzeigen verantwortlich ist, desto schlimmer wirds — meistens.)

Damit üben sie einen unnötigen und unvorteilhaften Druck aus. Unnötig, weil die Anforderungen aus der Stellenausschreibung zwar idealerweise vorhanden sein sollten, aber keineswegs wirklich Pflicht sind. Unvorteilhaft, weil man viele sehr gut geeignete Kandidaten ohne Not ausschließt. Am Ende lädt man diejenigen mit den überzeugendsten Notlügen ein. Ich weiß nicht so recht, was ich von solchen Stellenausschreibungen halten soll. Hat da jemand ein Employer-Branding-Seminar besucht und gründlich missverstanden? Gibts die Ausschreibung nur, um internen Zwängen zu genügen? Oder sucht man tatsächlich die eierlegende Wollmilchsau zu zwo fuffzich die Stunde? Oder, und das wäre fast schon pervers, ist das ein erster Test nach dem Motto „Wir wollen nur Leute, die den Job wirklich wollen und alles dafür tun würden”? Either way, thanks, but no thanks.

Im Grunde geht es um die Erwartungshaltung einem Unternehmen gegenüber, das Stellen zu besetzen hat. Genauso wie das Unternehmen ordentliche Bewerbungen erwartet, darf man als Bewerber eine ordentliche Ausschreibung und ein ordnentliches Bewerbungsverfahren erwarten. Es ist, wie immer, ein beiderseitiges Geben und Nehmen.

Als kleiner Wegweiser für Arbeitssuchende hier eine Checkliste für Ausschreibungen.

  1. Ist die Ausschreibung klar in vier Teile gegliedert?
    • Wer ist der zukünftige Arbeitgeber?
    • Welche Aufgaben hätte man zu übernehmen?
    • Welche Anforderungen stellt das Unternehmen an Bewerber?
    • Wie kann man sich bewerben? Welche Unterlagen und Informationen sind gefordert?
  2. Wird das Veröffentlichungsdatum und die Dauer der Ausschreibung genannt?
  3. Wenn die Unternehmenssprache nicht Deutsch ist, braucht man dafür einen sehr guten Grund.

Ich möchte nicht behaupten, dass jeder der Punkte ein Killer ist. Man muss seine Prioritäten selbst setzen. Wenn man aber mehrere interessante Ausschreibungen vor sich hat, dient die Liste als Sieb.

Was nach dem Sieben übrig bleibt, ist noch nicht die Crème de la Crème — auf die quantitative Bewertung folgt die qualitative.

  1. Aus der Selbstbeschreibung muss deutlich werden, was das Unternehmen tut.
  2. Es muss auf Anhieb verständlich sein, welche Aufgaben auf einen zu kämen.
  3. Es muss klar werden, warum die Stelle ausgeschrieben wurde.
  4. Die Anforderungen müssen verständlich formuliert sein.
  5. Kontaktdaten müssen vollständig (Web-Adresse, E-Mail-Adresse, Name, Telefonnummer, postalische Anschrift) angegeben sein.

Jetzt geht es an die Innereien. Wird man mit internen Abkürzungen oder Benennungen bombardiert? Machen die genannten Aufgaben in dieser Kombination bzw. Priorisierung Sinn? Passen die Anforderungen zu den Aufgaben? Passen beide zur Stellenbezeichnung?

Nicht schlecht war in dieser Hinsicht ein Unternehmen aus dem Norden. Die Stellenausschreibung sah ein bisschen nach Nachwuchsführungskraft aus; fachliche Leitung eines festen Teams von zehn Leuten, Bericht an GF, usw. Ca. 50 Mitarbeiter, interessante Kundenliste. Man würde den Bewerber gerne einladen, teilte man mit, allerdings drifteten die Gehaltsvorstellungen arg auseinander. Naja, man suche eher einen Absolventen, mehr als 36k seien nicht geplant. Ich würde gerne mal das arme Schwein kennenlernen, das dort gelandet ist.

Die fünf qualitativen Fragen kann man teils aus dem Stegreif beantworten, teils muss man sich über das Unternehmen schlaumachen. Fehlt die Web-Adresse, gibts Punktabzug, weil man googlen muss. Die Frage nach der Kombination und Priorisierung der Aufgaben kann man oft nur mit ein wenig Berufserfahrung beantworten. Im Zweifel fragt man jemanden, der sich damit auskennt.

Unvollständige Kontaktdaten sind ein absolutes K.O.-Kriterium. Es ist mir egal, ob das Unternehmen eine Jobbörse benutzt. Ich will nicht gezwungen werden, irgendwo einen Account anzulegen oder meine Unterlagen einem Dritten zur Verfügung zu stellen (einzige Ausnahme sind Headhunter, aber das ist ein anderes Thema). Daher erwarte ich, meine Bewerbung direkt an das Unternehmen, direkt an eine Person richten zu können.

Ist die Bewerbung raus, darf man eine zeitnahe Rückmeldung erwarten. Gerne darf da erst eine automatische Antwort kommen (vor allem bei Bewerbungen per E-Mail), aber spätestens nach fünf Werktagen ist eine persönliche Rückmeldung angebracht. Den Vogel abgeschossen hat in dieser Hinsicht die debis AG (R.I.P.). Sechs Monate nach der Bewerbung kam einen Anruf, ob der Bewerber noch an der Stelle interessiert sei. Ratet mal, was er geantwortet hat.

Sehr seltsam ist es auch, wenn man — ganz egal im welchem Stadium des Bewerbungsverfahrens — erfahren möchte, wie es denn aussieht, und niemand antwortet. Es bricht weder dem Unternehmen noch dem Bewerber ein Zacken aus der Krone, freundlich und direkt abzusagen, sollte das der Grund des Schweigens sein. Hinhaltetaktiken sind ein eher schlechtes Zeichen — schlecht für das Unternehmen meine ich. Den Rekord hält ein Unternehmen aus Frankfurt am Main, das es geschafft hat, sich nach dem zweiten Gespräch mit dem GF nicht mehr zu melden. Weder von sich aus noch auf nachfragende Anrufe und E-Mails. Nach sechs Wochen hat der Bewerber das Trauerspiel beendet. Dank eines Insiders weiß ich, was Sache war, aber das hat die Schweigsamkeit auch nicht erklärt.

Bottom line: Studis, lasst euch nicht mit Videothekenjobs abspeisen. Macht relevante Jobs, gerne mehr als einen. Schaut euch euer Berufsfeld an und versucht, in so viele Winkel wie möglich zu schauen. Arbeitet in großen und kleinen Unternehmen. Wenn es an eurem Studienort nicht die Möglichkeit gibt, geht woanders hin (es sei denn, ihr wollt sowieso an der Uni bleiben). Sucht vor allem Werkstudentenjobs (better pay!). Wenn der Bachelor acht Semester braucht, geht das in Ordnung! Gezüchtete Fachidioten gibt es genug.

Und wenn es dann um die ersten Vollzeitstelle geht, darf man ruhig Ansprüche stellen. Man muss Ansprüche stellen. Wer sich unter Wert verkauft, wird es bereuen — und wer sich für einen Überflieger hält, auch.

Bild: harry_nl, CC-BY.